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Von grauen Wölfen mit zu wenig Schafspelz


Dank gesunder Nahrungsquellen, jeder Menge Fitness-Einheiten und Botox vermehrt sich in unseren Großstädten ein ganz besonderes Wesen immer rasanter. Der „graue Wolf“ oder der „Mann ohne Alter“.

Fragt man selbigen danach, antwortet er nur verhalten und nennt schließlich eine Zahl zwischen 49 und 55. Obwohl der nur noch schwer leserliche Führerschein was ganz anderes verrät.

Er trägt vorzugsweise Armani-Jeans, fährt einen Roadster und duldet höchstens eine Frau an seiner Seite, die mindestens mal fünfzehn Jahre (vorzugsweise noch ein Paar Jahre mehr) jünger ist als er. Bei dem Gedanken, er müsse eine Frau seines Alters nackt sehen, gruselt es ihn. Dabei hat er ganz vergessen, als er jung war – ich meine so richtig jung – hatte er mal ein äußerst erotisches Erlebnis mit einer sehr viel älteren Frau. Aber damals war er zwanzig. Sie hat ihn eingeführt in die Spielarten der Liebe und er wollte „Sie“!

Als sie ihm schließlich klar machte, dass sie nicht gedenkt mit ihm vor den Traualtar zu treten, wollte er sich erst vor ihren Wagen werfen, dann eine Sitzblockade vor ihrer Wohnung veranstalten, und letztendlich als Entwicklungshelfer in Papua Neuguinea sein Dasein fristen.

Von allen drei Dingen nahm er aber Abstand, weil ihm die niedliche französische Austauschschülerin mit dem vielversprechenden Namen Emanuelle dazwischen kam.

Haare verloren und an Bauchumfang gewonnen

Seitdem hat er zu viele Haare verloren, sich an seinen Bauchansatz gewöhnt, ist dreimal Großvater geworden und zum Ausgleich wurden seine Frauen immer jünger und jünger.

Der „graue Wolf“ ist auf seinen Beutezügen vorzugsweise in den angesagtesten Szeneclubs oder den Sushi-Bars der Stadt unterwegs. Und es ist jedes Mal das selbe Spiel: Er macht ihr Komplimente auf die ganz altmodische Art und sie ist einfach nur fasziniert von seinem Charme und seiner Lebenserfahrung. Und er? Er ist fasziniert von ihrer Unbeschwertheit, ihrer Jugend. Und dann ist auch ihr Lächeln so vielversprechend wie das Mondlicht in einem Glas Chianti…

Und plötzlich ist er wieder zwanzig

Ein paar Wochen vergehen wie im Rausch. Er ist wieder zwanzig und spürt das Leben in seiner vollen Kraft. Natürlich geht er jetzt noch öfter ins Fitnessstudio, zieht seinen Bauch noch etwas mehr ein, plündert sein Bankkonto (schließlich gehört Geiz ganz und gar nicht zu den Charakterzügen der Gattung „Grauer Wolf“) um mit ihr in die Karibik zu fliegen, ihr die heiß begehrten Ohrstecker aus Platin zu schenken und ihr die sündhaft teure Unterwäsche von La Perla zu kaufen.

Bis eines Tages …

Er versagt an einem Ort, wo Versagen dem Absturz aus der obersten Chefetage ins unterste Management gleich kommt. Im Bett! Dabei hätte es doch die heißeste Nacht seines Lebens werden können. Es passiert ohne Vorwarnung, ohne das irgendjemand den großen imaginären Viagra-Gong geschlagen hat.

„Vielleicht war das letzte Glas Champagner doch zuviel?“ – Schießt es ihm durch den Kopf.

Sie sinkt seufzend in die Kissen, fährt ihm mit ihren spitzen Fingernägeln über seine grau behaarte Brust und flüstert ihm mit sanfter aber unendlich mitleidsvoller Stimme ins Ohr: „Ach Mausebär, das kann doch jedem Mann mal passieren.“

Diesmal übernachtet er nicht bei ihr. Mausebär hasst Peinlichkeiten. Er zieht sich in aller Eile an und sagt nach Manier des „Grauen Wolfes“: „Wir telefonieren…“

Dabei weiß er es ganz genau. spätestens morgen wird sie ihm per SMS kurz und schmerzlos mitteilen: „Danke für die schöne Zeit!“

Im Fahrstuhl seiner Penthouse-Wohnung – von wo aus man einen fantastischen Blick über Frankfurt, Berlin, München, Düsseldorf… oder wo auch immer der „Graue Wolf“ zuhause ist – genießt, trifft er seine rothaarige Nachbarin vom Typ „Frau ohne Alter“. Sie lächelt ihn an, wissend und vielversprechend wie – ja, wie das Mondlicht in einem Glas Chianti. Und plötzlich ist er sich ganz sicher: Sie hätte herzlich mit ihm über sein kleines Missgeschick gelacht, wie über ein misslungenes Soufflé. Vielleicht sollte er doch mal mit ihr ausgehen?

Sicher, sie ist nicht mehr ganz jung, das verraten ihre bezaubernden Lachfältchen. Aber ihre wohlproportionierten Rundungen würden Sophia Loren alle Ehre machen


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